Die Abstraktion des Minings

Bittensor ist eine Blockchain, die das Mining zum Hauptzweck macht – und soweit abstrahiert, dass beliebige digitale Leistungen gelten können. Die Blockchain soll dadurch zum Markt für maschinelle Intelligenz werden. Ein Forschung-Startup möchte es nun nutzen, um die Erforschung neuer Medikamente zu beschleunigen.

Ist es Bullshit oder revolutionär? Oft ist das schwer zu erkennen, auch für uns. Ein Beispiel für eine Geschichte, die interessant, aber auch heiße Luft sein könnte, war neulich in der Forbes zu lesen:

Diese dezentrale KI, titelt das Magazin, „kann die Entwicklung von Medikamenten revolutionieren.“

Gemeint ist ein neuronales Netzwerk, das auf die Erforschung von Medikamenten spezialisiert ist, und über die Blockchain Bittensor (TAO) dezentralisiert wird. Damit rückt die alte Idee wieder in Reichweite, das Mining einer Kryptowährung nicht durch „nutzlose“ Hashes, sondern durch wissenschaftliche Berechnungen auszuführen. Dies haben vor 8-10 Jahren Währungen wie Gridcoin versucht, ohne es jemals zu schaffen, das wissenschaftliche Mining tatsächlich zu dezentralisieren.

Wäre es denkbar, dass die Verbindung moderner Staking-Mechanismen und Neuronaler Netzwerken dies endlich ermöglicht? Um diese Frage wird es im Folgenden gehen.

Die Simulation chemischer Reaktionen auf atomarer Ebene

Medikamente zu entwickeln ist üblicherweise eine sehr langwierige Mühsal, die sich über viele hundert Schritte hinzieht und im Durchschnitt mehr als 13 Jahre dauert.

Man kann dies aber durch Künstliche Intelligenz und molekulare Simulationen vereinfachen und verbessern. Anstatt Medikamente physisch zu entwickeln und zu testen, werden sie in Computersimulationen konstruiert und simuliert. Dies erlaubt es, in weniger Zeit mehr molekulare Wirkstoffkandidaten zu prüfen – so zumindest die Hoffnung, die derzeit die Pharmabranche bewegt.

Im April hat Rowan Labs das dafür spezialisierte neuronale Netzwerk Egret-1 veröffentlicht. Es soll chemische Reaktionen auf atomarer Ebene simulieren. Bisher ist dies enorm aufwendig, selbst wissenschaftliche Supercomputer benötigen viel Zeit, nur wenige Atome für wenige Sekunden realistisch zu simulieren. Rowan möchte dies verbessern, indem es sein neuronales Netzwerk nicht, wie ChatGPT, durch Daten aus dem Netz trainiert, sondern durch quantenmechanische Gleichungen. Die KI lernt, die Ergebnisse der Gleichungen zu rekonstruieren.

Damit Modelle wie Egret-1 erfolgreich sind, benötigen sie aber, erklärt Rowan, „sehr viel mehr hochqualitative Daten, die durch die Dichtefunktionaltheorie (DFT) erzeugt werden.“ Um diese Daten zu generieren, wird Egret-1 „die dezentralisierte Rechenleistung des Bittensor-Netzwerkes nutzen“, genauer: ein Subnetz für dezentralisierte KIs aus Bittensors Macrocosmos. Dies kann, meint die Forbes, „die Kosten und Dauer der Entdeckung neuer therapeutischer Komponenten und Behandlungen drastisch reduzieren.“

Klingt nicht uninteressant, oder? Aber was hat es nun mit Bittensor und Macrocosmos auf sich?

Proteine falten im Macrocosmos

Macrocosmos wurde erst 2024 gegründet und gehört zur Bittensor-Blockchain (dazu gleich mehr). Es ist eine Art Geflecht von Subnetzen von Bittensor.

Rowan verwendet das Subnetz „Mainframe“ (SN25). Dieses ermöglicht wissenschaftliche Simulationen, vor allem die Faltung von Proteinen, ein Standardproblem der chemischen Biologie, für welches Künstliche Intelligenz besonders vielversprechend ist: „Die Proteinfaltung ist eines der härtesten Probleme der Wissenschaft, das gigantische Rechenleistung erfordert. Während kürzliche Durchbrüche wie durch AlphaFold3 sehr effektiv waren, bedeutet ihre zentrale Datenverarbeitung, dass die Kosten je Anfrage viel zu hoch sind“, erklärt die Macrocosmos-Webseite.

SN25 soll die Preise fürs Proteinfalten drücken. Es nutzt den „GROMACS“-Standard, um die Proteinfaltung zu simulieren, bindet diesen jedoch in ein „kompetitives Design“ ein. Dieses setzt „Anreize für Miner, um Machine-Learning-Modelle zu entwickeln, die die Faltung von Proteinen so effizient wie möglich lösen.“ Die Validatoren im System prüfen die Outputs der Miner durch bestimmte Heuristiken. Die Miner, die dabei am besten abschneiden, bekommen die Token von Bittensor, TAO, als Belohnung.

Dieses kompetitive Verfahren soll die Kosten senken und die Effizienz steigern. Derzeit gibt es 30 aktive Validatoren, die gleichzeitig mehr als 3000 Simulationen betreiben; seit Juni 2024 wurden bereits mehr als 400.000 Aufgaben der Proteinfaltung erledigt. Das ist noch weit von dem entfernt, was AlphaFold leistet – aber doch ein Anfang.

Die Abstraktion des Minings

Um Macrocosmos zu verstehen, führt kein Weg daran vorbei, sich mit Bittensor zu beschäftigen. Die Grundidee von Bittensor ist ziemlich spannend:

Man kann Bitcoin als einen dezentralen Markt für digitale Güter verstehen: ein Markt, der Miner dafür belohnt, Hashes zu erzeugen. Dieser Markt ist bei Bitcoin aber nur ein Mittel zum Zweck: Er soll einen Konsens über ein digitales Kontobuch schaffen, die Blockchain, und damit ein dezentrales Transaktionssystem ermöglichen. Bittensor nun macht den Markt für digitale Güter zum Zweck an sich.

Die Kern-Innovation von Bittensor ist dabei die „Trennung der Kernfunktion der Blockchain (Werte zu überweisen etc.) vom Betrieb des Validations-Systems, welches definiert, wie die Märkte für digitale Güter geschaffen werden.“ Das ist wichtig: In klassischen Konsensmechanismen wie Proof of Work und Proof of Stake enthält der Konsens-Algorithmus selbst die Bedingungen, wann eine konsensrelevante Leistung – ein Hash oder ein Stake – gültig ist. Bittensor bestimmt dagegen nur, unter welchen Umständen der Konsens selbst Geltung hat.

Die Konsensleistungen selbst können in jeder beliebigen Sprache verfasst sein. Sie werden vollständig offchain validiert, was es erlaubt, große Datenmengen und Rechenleistungen zu verlangen. „Bittensor bringt dieselbe Art von Abstraktion, die Ethereum zu Bitcoin hinzufügte, indem es dezentralisierte Verträge einführte, in Bitcoins inverse Innovation – die digitalen Märkte.“

So wie Ethereum es erlaubt, das Transaktionsgeschehen zu abstrahieren und die vielfältigsten Konstruktionen zu bilden, ermöglicht Bittensor es, auch komplexe und unscharfe Mechanismen als Konsensleistung zuzulassen. Wie eben maschinelle Intelligenz, Proteinfaltungen, Datenspeicherungen, das Training von Modellen und so weiter.

Bittensor definiert nicht die Konsensleistung selbst, sondern „den Markt, der diese Leistungen dafür bezahlt, für das Netzwerk verfügbar zu werden.“ Dies geschieht durch den „Yuma Consens„. Er teilt das Netzwerk in Miner und Validatoren, welche durch Staker der TAO-Token gewählt werden. Während die Miner „Intelligenz“ bereitstellen, prüfen die Validatoren deren Ergebnisse und stimmen über diese ab. So entsteht, erklärt das Whitepaper, „ein Markt, auf dem Intelligenz durch andere intelligente Systeme peer-to-peer im Internet bepreist wird.“ Durch Gewichte (Weights) und Stakes stimmen die Peers über ihren Einfluss im Netzwerk ab, ranken sich und ihre Nachbarn gegenseitig und dokumentieren die Scores auf einer Blockchain.

Die konkrete Ausgestaltung, wie sie das Whitepaper erklärt, ist komplex und voll mit mathematischen Formeln. Soweit ich es verstehe, ähnelt das System auf Wahl basierenden Konsensverfahren wie bei Ripple oder Proof of Authority wie bei der Binance Smart Chain – die Peers im Netzwerk stimmen über einen Konsens ab und bewerten gegenseitig ihre Vertrauenswürdigkeit – und kombinieren es mit einem abstrahierten Mining. In den Subnetzen wird definiert, welche Konsensleistung Miner zu erbringen und wie die Validatoren diese zu prüfen haben. Sobald ein Konsens im Subnetz herrscht, wird er auf die globale Ebene der Blockchain übertragen.

Wie in den meisten dezentralen Systemen liegt die Krux darin, Betrug durch geheime Absprachen zu verhindern oder zumindest sehr unwahrscheinlich zu machen. Dazu belohnt Bittensor  die ehrliche Auswahl der Gewichte so stark wie möglich, wodurch das System laut Whitepapers resistent gegen eine Zusammenarbeit bis zu 50 Prozent des Netzwerk-Gewichtes wird. Es dürfte also dieselben Sicherheits-Parameter haben wie Bitcoin und andere Blockchains – 50 Prozent der Peers, bzw. der Hashes, Stakes oder Weights, müssen ehrlich sein und nach den Regeln spielen.

Quelle: bitcoin.de