Ukraine bringt Gesetzesentwurf für Bitcoin-Reserve ins Parlament
Ausgerechnet die Ukraine, die kurz vor dem Bankrott steht, möchte der Zentralbank erlauben, Bitcoins und andere Kryptowährungen in die Reserve aufzunehmen. Ist das Wahnsinn – oder könnte es dem Land helfen, Werte zu bewahren?
Ukrainische Abgeordnete haben einen Entwurf für ein Gesetz ins Parlament, die Werchowa Rada, gebracht, das der Nationalbank der Ukraine (NBU) erlauben soll, Kryptowährungen in der Reserve zu halten.
Konkret erlaubt Gesetz 13356 der NBU, „virtuelle Vermögenswerte“ zu erwerben, aufzunehmen, zu verkaufen und zurückzuzahlen. Insbesondere Abschnitt 6.) ist interessant: Er erlaubt die „Rückzahlung virtueller Vermögenswerte an internationale Finanzorganisationen, Zentralbanken ausländischer Staaten und andere Gläubiger, einschließlich Zinsen für die Nutzung solcher Mittel sowie sonstiger verpflichtender Zahlungen.“
Ganz so, als stehe die Option im Raum, ein Darlehen in Kryptowährungen aufzunehmen; als plane die Ukraine schon vor, dass Kredite künftig auch in Stablecoins gegeben werden. Eventuell ist die schlichte Not der Vater des Vorhabens – die Ukraine kann sich nicht mehr leisten, bei Darlehen auf die Form zu achten.
Der Abgeordnete Yaroslav Zhelezniak, der den Gesetzesentwurf mit eingebracht hat, betont, die Zentralbank bekomme damit das Recht, virtuelle Vermögenswerte aufzunehmen, nicht aber die Pflicht. Ob und in welcher Höhe sie dies mache, obliege ausschließlich der Institution selbst. Er ist aber überzeugt, dass eine ordnungsgemäße Verwaltung von Krypto-Reserven die makroökonomische Stabilität des Landes stärken könne und helfe, eine digitale Wirtschaft zu schaffen.
In einem Video diskutiert Zhelezniak mögliche staatliche Krypto-Reserven mit Kyrylo Khomiakov, dem regionalen Leiter von Binance für Zentral- und Osteuropa. Binance berät verschiedene Regierungen, einschließlich der Ukraine, zu Krypto-Reserven. Neben dem Abgeordneten Zhelezniak hat auch Petr Bilyk, ein Experte für künstliche Intelligenz, am Entwurf mit geschrieben. Es scheint also eine gewisse Unterstützung der regionalen Digitalwirtschaft zu geben.
Ob die Werchowna Rada das Gesetz verabschieden und inwieweit die NBU tatsächlich virtuelle Vermögenswerte in die Reserve einlagern kann, ist derzeit aber noch offen.
Zentralbanking unter Extremstbedingungen
Die NBU arbeitet seit Februar 2022 bekanntlich unter extremen Bedingungen. Russlands sinnloser Massenmord zerstört das Land und zwingt es, immer mehr Ressourcen in die Verteidigung zu investieren, was natürlich zulasten der Restwirtschaft geht. Darüber hinaus musste es sich für die Rüstungsfinanzierung international verschulden. Kein Wunder hat die Rating-Agentur dem Land vor Kurzem das Rating „RD“ gegeben – „Restricted Default“, die zweitschlechteste Note, vor dem völligen „Default“.
Die NBU bemüht sich nun, einerseits die Wirtschaft liquide zu halten – vor allem den Import durch Devisenvorräte zu finanzieren – und andererseits die lokale Währung, die Hrywna, einigermaßen stabil zu halten. Dies gelingt, angesichts der Umstände, relativ gut. Nachdem Leitzins und Inflation zunächst rasant gestiegen sind, konnte NBU-Governeur Andriy Pyshny beides seit Mitte 2023 etwas senken und auf einem wohl erträglichen Niveau halten. Hilfreich dabei war auch ein milliardenschwerer Kredit des IWF.
Mit derzeit 15,9 Prozent inflationiert die Hrywna (UAH) weiterhin jedoch erheblich. Ihr Wert ist seit Anfang 2022 von 30 UAH je Euro auf fast 50 gefallen. Russlands Krieg trägt sicherlich seinen Teil bei, doch die Hrywna ist schon seit Langem hochinflationär. Zwischen 2013 und 2018 ist sie von 10 auf 33 UAH je Euro gefallen; die Ukraine litt besonders stark unter der Weltfinanzkrise ab 2017.
Die NBU habe, konstatierte die französische Nationalbank im Oktober 2024, „eine Schlüsselrolle für die Resilienz und Stabilität der ukrainischen Wirtschaft gespielt. Selbst in der akutesten Phase des Krieges hat die NBU Bürger und Investoren die Sicherheit vermittelt, dass sie so rasch wie möglich zu einem Regime der Inflationskontrolle zurückkehren wird.“ Ein entscheidender Faktor sei dabei gewesen, dass die NBU den Austausch in Fremdwährungen unterstützt habe. „Daher kann man nicht analysieren, wie sich eine moderne Zentralbank in Kriegszeiten verhält, ohne die externen Positionen des Landes gründlich zu berücksichtigen.“
„Externe Positionen“ meint Reserven. Die Zentralbank hält Reserven von derzeit 44,5 Milliarden Dollar. Erstaunlicherweise haben diese Reserven seit 2022 nicht ab-, sondern zugenommen, auch wenn beispielsweise die Schuldentilgung im Mai die Reserven um 4,6 Prozent schrumpfen ließ. Eine solche Volatilität wäre bei einer stabilen Volkswirtschaft wie Deutschland kaum denkbar und zeigt die heikle Lage.

Absolute Summe der Reserven der NBU nach bank.gov.ua
Komponiert bestehen die Reserven zu rund 70 Prozent aus Wertpapieren“ (Цінні папери) – was vermutlich Staatsanleihen und Aktien meint -, zu 23,8 Prozent aus Bank- und Sichteinlagen (Готівка, кор. рахунки, депозити) – dies dürften aktiv genutzte Reserven sein, etwa zur Finanzierung von Importen – und zu 6,5 Prozent aus Gold (Монетарне золото).

Komposition der Reserven der NBU
Der Großteil der Reserven laufen in Dollar (87,2 Prozent), mit weitem Abstand gefolgt von Euro (10,1 Prozent) und Gold (6,5 Prozent); die meisten Wertpapiere haben ein AA-Rating.
Löst Bitcoin die Zwickmühle im Management der Reserven?
Mit dieser Komposition der Zentralbank-Reserven entspricht die Ukraine einem typischen Schwellenland: Der absolute Fokus liegt auf Dollar-Devisen, die die Zentralbank durch eine exportlastige Ökonomie wie von selbst akkumuliert hat. In Zeiten des Krieges ermöglicht dies der NBU, die Außenhandels-Liquidität aufrecht zu erhalten, um einführende Unternehmen mit Dollar oder Euro zu versorgen.
Zentralbanken der Ersten Welt hingegen halten, vor allem in Europa, zu sehr viel größeren Anteilen Gold. Die meisten Zentralbanken im EZB-Netzwerk halten zu 60-70 Prozent Gold; bei den derzeitigen Goldpreisen strotzen sie vor Kraft und zinspolitischem Spielraum. Um in unsicheren Zeiten stabile Reserven zu halten, schichten aber derzeit viele Zentralbanken der Zweiten (oder eineinhalbten) Welt um, etwa Polen und Tschechien, aber auch China, und versuchen, ihre Goldanteile auf etwa 20 Prozent zu heben.
Für die meisten Zentralbanken ist dies eine Zwickmühle. Wenn sie Devisen in Dollar und Euro behalten, können die Zentralbanken in den USA und Europa die Kosten ihrer Geldschöpfung – die Inflation – exportieren; wenn sie aber entschieden Gold kaufen, erschöpfen sie rasch die Liquidität des globalen Goldmarktes, was den Preis nach oben treibt und die Unterschiede zu den Reserven der ersten Welt weiter ausbaut.
Bitcoin als vierte Option – neben Devisen, Fremdwährungen und Sonderziehungsrechten beim IWF – könnte ein Ausweg aus dieser Sackgasse sein. Bitcoin hat ähnliche Vorteile wie Gold – es erlaubt die souveräne Verwahrung und hält seinen Wert unabhängig von der Weltkonjunktur – aber weniger Nachteile bei Lagerung und Transport. Vor allem aber erlaubt Bitcoin es den Zentralbanken der Zweiten Welt, nicht als Nachzügler einen hohen Preis zu bezahlen und die anderen reicher zu machen, sondern als Vorreiter davon zu profitieren, wenn andere Zentralbanken nachziehen.
Für die Ukraine kann darin eine Chance liegen. Sie schrammt an der Zahlungsunfähigkeit und kann kaum aus eigener Kraft genügend Kapital auftreiben, um sich zu verteidigen und die Schäden der sinnlosen russischen Vernichtung zu beseitigen. Jedes Mittel, um Werte zu speichern, um die Reserven zu stabilisieren und zu steigern, dürfte in der Situation willkommen sein. Faktisch insolvent ist das Land bereits, es kann daher nicht viel verlieren, aber umso mehr gewinnen.
Woher die Ukraine Kryptowährungen nehmen kann
Aber hat die NBU überhaupt genügend Kapital, um es in Krypto zu stecken? Der hohe Anteil an Bankeinlagen in den Reserven spricht dafür, dass die Ukraine einen großen Teil der Reserven benötigt, um Importe zu finanzieren. Der Spielraum dürfte relativ eng sein, und weder IWF noch europäische Gläubiger werden es gerne sehen, wenn das Land seine Kredite nicht für Verteidigung und Wiederaufbau nutzt, sondern um „zu spekulieren“.
Der IWF ist sogar rabiat dagegen, dass Länder eine Bitcoin-Reserve aufbauen, etwa im Fall El Salvador. Mit einer ausstehenden Schuld von mehr als 10 Milliarden Dollar ist die Ukraine nach Argentinien das Land, das beim IWF am tiefsten in der Kreide steht. Spätestens wenn es mit dem IWF in Verhandlung um eine Refinanzierung der Schuldenlinie geht, dürfte die Institution vehement Einspruch gegen die Krypto-Reserve einlegen.
Unter Umständen könnte die Ukraine die Reserve mit Bitcoins und anderen Kryptowährungen füllen, die das Land bereits besitzt, etwa aus noch nicht liquidierten Beschlagnahmungen. Laut den üblichen Webseiten hält die Ukraine angeblich 46.351 Bitcoins, was gut vier Milliarden Euro entspricht und damit etwa 10 Prozent der Zentralbank-Reserven. Allerdings ist diese Zahl mit Vorsicht zu genießen. Denn es handelt sich nicht um offizielle Bestände, sondern um eine Aufstellung, wie viele Bitcoins ukrainische Staatsdiener nach eigenen Angaben Mitte 2021 hielten. Weder hat die NBU Zugriff auf diese Coins, noch sind die Angaben besonders vertrauenswürdig. Ein Kommentator vermutete, dass korrupte Beamte die Wertsteigerung von Bitcoins als Ausrede nutzten, um Vermögenszuwächse zu rechtfertigen, die durch das gewöhnliche Einkommen nicht zu erklären sind.
Andererseits ist die Ukraine ein Zentrum des osteuropäischen Cybercrimes. Seit dem Krieg sucht das Land auch in der Verbrechensbekämpfung stärker den Schulterschluss mit westlichen Institutionen, weshalb es immer wieder zu Verhaftungen und Beschlagnahmungen von Kryptowährungen kommt. Diese tauchen in den allgemeinen Statistiken ebenso wenig auf wie die Kryptowährungen, die das Land in Form von Spenden bekommen hat, nachdem Russland sein sinnloses Schlachten begonnen hat. Es dürfte also schon einen Spielraum geben, zumindest einige hundert oder sogar tausend Bitcoins an die Zentralbank umzuleiten.
Eventuell aber geht es nicht nur um Bitcoin und andere Kryptowährungen, von denen man sich eine Wertsteigerung gegen den Dollar erhofft. Vielleicht geht es ebenso oder mehr um Stablecoins wie USDC oder USDT, die der Ukraine helfen können, Anschluss an einen neuen und verbesserten internationalen Zahlungsverkehr zu nehmen, beispielsweise, um ukrainischen Informatiker die Bezahlung aus dem Ausland zu erleichtern oder den internationalen Handel mit Getreide, Waffen, Rohstoffen zu schmieren.
Noch sind dies aber nur Spekulationen, da das Gesetz noch nicht verabschiedet wurde.